MitGefühl leben
Ich bin im Urlaub, es ist heiß und ich komme aus dem Wasser. Unter einem Baum sitzt eine alte Frau im Schatten auf einem Plastikstuhl. Sie wirkt erschöpft und gleichzeitig froh, sich dort ausruhen zu können. Ich lächle sie an und sage „Hallo“. Sie erwidert den Gruß ohne eine Miene zu verziehen. Ich entscheide, mich nicht abschrecken zu lassen und sage im Vorbeigehen: „So lässt es sich aushalten!“ Sie schaut mich an, überlegt und sagt: „Ja, so lässt es sich aushalten. Genauso.“ Dann lächelt sie zurück und ich gehe weiter. Was für eine schöne Begegnung!
Es ist heiß und trocken und in den Medien wird darauf hingewiesen, dass auch die Tiere darunter leiden und manche von ihnen sogar verdursten. Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht und überlege, was ich tun kann. Ich informiere mich und stelle in meinem Garten verschiedene Wasserstellen auf – für große und kleine Durstige. Plötzlich kommt mir der Gedanke, dass das ja auch MitGefühl ist und ich freue mich noch mehr.
Wenn ich nach einem Regenschauer mit meinem Hund laufe, sehe ich immer wieder Regenwürmer auf der immer trockener werdenden Straße liegen und es war mir schon immer ein Bedürfnis, sie aufzuheben und ins Gras zu tragen. Häufig werde ich dafür belächelt und rechtfertige mich: „Aber sonst schafft er es ja wahrscheinlich nicht ins rettende Gras und stirbt.“ Die Antwort lautet dann meistens: „Ist doch nur ein Regenwurm.“ Ich machte es trotzdem weiterhin, hab mich aber schon manchmal gefragt, ob ich komisch bin.
Seit ich mir Gedanken über MitGefühl mache merke ich, dass ich gestärkt bin in meinem Tun – nicht nur bei den Regenwürmern, denn nun ist mir bewusst, dass ich schon immer viel MitGefühl verschenkt habe und das freut mich riesig. Ich warte förmlich auf die nächste Regenwurmaktion und will unbedingt meine Antwort anbringen: „Das ist MitGefühl“ oder „ich verschenke hier gerade MitGefühl“.